Primärschädigung Drucken

Es gibt undenkbar viele mögliche primäre Ursachen für Querschnittlähmungen. Alles, was ein Gewebe zerstören kann, ist auch in der Lage, das Rückenmark zu zerstören. So kann das Rückenmark gequetscht, durchstoßen, zerschnitten, zerrissen, verdrillt, infiziert und sogar verstrahlt werden oder sich in einer Autoimmunattacke selbst verdauen.

Jede Ursache hat physikalische, chemische oder biologische Grundlagen und unterscheidet sich in ihrer typischen Form und Ausprägung von den anderen. Allen gemein ist jedoch, dass auf eine primäre Ursache meist auch eine biologische, sekundäre Ursache folgt.
Abb. 3: Blutgefäße ziehen durch das gesamte Rückenmark und verästeln sich dort, um alle Zellen mit Sauerstoff versorgen zu können. Eine Unterbrechung bzw. ein Zerreißen dieser Gefäße führt zu Schäden in den Versorgungsbereichen (BENNINGHOFF, 1994).

Je nach Land und Lebensgewohnheit der Bewohner unterscheiden sich die Häufigkeit des Auftretens bestimmter Verletzungsarten voneinander. In Deutschland und den Nachbarstaaten ist die häufigste Ursache für eine mechanisch verursachte Querschnittlähmung der Sturz. Sturz vom Pferd, mit dem Motorrad, beim Skifahren, Sturz von Leitern, Tischen, Hockern und anderen gefährlich klapprigen Erhöhungen, ja sogar der Sturz aus dem Bett. Da die Wirbelsäule elastisch ist, reicht meist der Sturz alleine noch nicht aus. Zu dem Aufprall des Körpers auf das Rückgrat kommt meist noch ein unglücklicher Aufprallwinkel auf den Boden oder ein Hindernis, durch das Wirbelbestandteile abbrechen und in den Spinalkanal verschoben werden, oder die eine Überdrehung des Rückenmarks erlauben können.


Abb. 1: Das Rückenmark liegt im Spinalkanal der Wirbelsäule und wird von vier Knochen umgeben, die fest miteinander verwachsen sind. Im Falle von Gewalteinwirkung kann es jedoch entlang der Nähte zu Brüchen kommen. Dann können Knochenteile in den Wirbelkanal eindringen und das Rückenmark quetschen. (BENNINGHOFF, 1994).

Was geschieht also mit dem Rückenmark bei einer "typischen" mechanischen Verletzung? Angenommen, der Sturz erfolgt hart auf die Kante eines etwas erhöhten Gegenstandes. Je nach Wucht des Aufpralls kann es dabei zum Trümmerbruch des Wirbeldaches bzw. des Wirbelkörpers kommen. Verschobene Knochenfragmente und auch eine verlagerte Bandscheibe bzw. deren Reste können dabei die Spinalganglien der betreffenden Stelle ebenso quetschen wie auch das Rückenmark im Spinalkanal.


Abb. 2: Magnet Resonanz Aufnahme einer Fraktur des 6. Thoraxwirbels. Dunkel erscheinen Flüssigkeiten und Hohlräume, hell feste Strukturen wie Knochen und dichte Gewebe. Man erkennt deutlich, dass der Wirbelkörper des 6. Brustwirbels in sich verschoben ist und die Dornfortsätze völlig zu fehlen scheinen. Statt dessen zeigt sich an der Stelle eine dunkle Fläche, die auf eine massive Blutung schließen lässt. Das Rückenmark ist vom unteren Rand des 4. - 6. Wirbels regelrecht freigelegt und geschwollen. Außerdem scheinen auch im Inneren des Spinalkanals Blutungen aufgetreten zu sein (Kunze, 1992).

Dabei wirkt die Rückenmarksflüssigkeit zwar als Puffer, wird aber bei entsprechendem Druck (wie Zahnpasta in der Tube) nach oben, unten und in die Spinalganglien hineingequetscht. Dabei werden die gut durchblutete Arachnoidea und Pia mater stark gedrückt, wobei einige Gefäße zerreißen und in das Rückenmark bluten können. Andere Gefäße sind völlig blockiert und können ihren Versorgungsbereich nicht mehr mit Sauerstoff versorgen. Beides führt zum direkten Untergang der Nervenzellen.


Abb. 3: Blutgefäße ziehen durch das gesamte Rückenmark und verästeln sich dort, um alle Zellen mit Sauerstoff versorgen zu können. Eine Unterbrechung bzw. ein Zerreißen dieser Gefäße führt zu Schäden in den Versorgungsbereichen (BENNINGHOFF, 1994).
Durch das Zerreißen der Axone und eine Unterversorgung mit Sauerstoff beginnen die Nervenzellen und ihre Fortsatzstümpfe zu schwellen, bis an der verletzten Stelle das gesamte Rückenmark angeschwollen ist. Das empfindliche Rückenmark, in einer Knochenzange und mit sich ausdehnenden zahlreichen kleinen Blutungen, wird vom Körpergewicht weiter gequetscht. Bei sofortiger Entlastung des Rückenmarks könnten die Mikroblutungen und die Sauerstoffunterversorgung gestoppt werden. Damit könnte eine solche Quetschung sogar ohne bleibende Folgen verheilen.


Abb. 4: Zellen degenerieren nach einer Weile, wenn sie in unmittelbarem Kontakt zu absterbenden Nervenzellen stehen. Zunächst schwellen sie an, und die Zellbestandteile werden an den Zellrand verdrängt. Oben ist schematisch eine gesunde Zelle, darunter eine angeschwollene Zelle zu erkennen (BENNINGHOFF, 1994).

Meist kommt die Hilfe jedoch erst Minuten später, wenn die ersten Nervenzellen geschädigt oder abgestorben sind und sich die Blutungen einen Weg ins Nervengewebe gesucht haben. Außerdem müssen die meisten Unfallopfer erst geborgen werden. Je nachdem, wer diese Bergung vornimmt und in welcher Situation sie vorgenommen werden muss, kann es zu zusätzlichen Scherkräften (Verschiebungen) und Verdrehungen des Rückenmarks durch Verlagerung des Körpers mit unfixiertem Rückgrat kommen. Dies lässt sich nicht immer vermeiden, denn meist erfolgt eine solche Verlagerung dann, wenn das Opfer bewusstlos ist und sich nicht über seinen Zustand äußern kann. Ist eine Verdrehung bzw. Verschiebung des Rückenmarks erst einmal hinzu gekommen, werden ganze Nervenzellverbände verdrillt, was unbedingt den Untergang von Zellen und Fasern zur Folge hat.

Autorin: Patra Ahmann


Verwendete Literatur:
Drenckhahn, D.; Zenker, W. (Hrsg.); 1994:
"Benninghoff Anatomie Band 2", 15. Auflage, Urban & Schwarzenberg, München

Kunze, K. (Hrsg.); 1992:
"Lehrbuch der Neurologie", Georg Thieme Verlag, Stuttgart

Zuletzt aktualisiert am Montag, den 13. August 2007 um 18:31 Uhr